Der radikale Wandel unserer Öffentlichkeit hat uns vor eine Flut von Herausforderungen gestellt. Zeit, diese anzugehen. Der Think & Do Tank futur eins stellt sich in seinem ersten Newsletter vor und berichtet über die ersten drei Monate seit Gründung.

Gesprächsbedarf

Kennt Ihr das? Ihr seid auf einer Zoom-Konferenz, vielleicht sogar als Panelgast, doch wenn die Veranstaltung vorbei ist, drückt der Organisator so schnell auf »Meeting für alle Beenden«, dass es keinen Ausklang mehr gibt: Kein »Danke für das Gespräch«, kein Afterglow, keine Rückfragen, kein Austausch, kein Nachklapp, kein »Schön, Sie hier zu treffen!«. Man sitzt wieder alleine in seinem Flur, seiner Küche, seinem Wohnzimmer, seinem Büro oder wo immer der Laptop halt steht, zurück in der manchmal bedrückenden Einsamkeit der Pandemie. Wie kommt man also heutzutage noch ins Gespräch? Gerade, wenn man etwas Neues wagen und vorstellen will? Mit futur eins war ich dennoch im Gespräch – soweit man das eben in diesen pandemischen Zeiten noch sein kann.

Sprach beim Space for Ideas 1014 in New York und über die Auswirkungen von Trump, der Capitol-Stürmung und ob es richtig war, den US-Präsidenten kurz vor Amtsende noch auf Twitter zu sperren. Redete mit dem Tagesspiegel darüber, sowohl welche Gefahren von Desinformationen für die nächste Bundestagswahl ausgehen, als auch über die mangelnde Medienbildung im Land. Bei #D21talks diskutierte ich über die Herausforderungen des digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit und ob das Fact-Checking etwas bringt. Sprach u.a. mit der Digitalexpertin Ann Cathrin Riedel über Meinungsfreiheit und Regulierung, bei den Medienanstalten über die veränderte Mediennutzung der Generation Z, mit piqd woran der digitale Journalismus krankt und mit Hamburgs Kultursenator über die unsichere Zukunft des Lokaljournalismus.

Wer spricht, hört im Idealfall auch zu. Und so blieb mir unter all den vielen klugen Gedanken meiner Gesprächspartnerïnnen vor allem ein Satz des Soziologen Armin Nassehi hängen, der neulich im Bundespräsidialamt über den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit diskutierte: Nassehi sagte, dass die Digitalisierung wahrscheinlich die disruptiveste Veränderung für unsere Öffentlichkeiten ausgelöst hat, seit dem Buchdruck vor 500 Jahren.

Dieser radikale Wandel, diese durch die Digitalisierung ausgelöste technologische Disruption unserer demokratischen Kommunikationsräume ist der Grund, warum wir diese Organisation ins Leben gerufen haben. Weil sich so viele Dinge parallel auflösen und verändern, dass kaum noch gesellschaftlich, politisch oder technologisch gegenzusteuern ist. Gigantische, algorithmisch arbeitende, datenkrakige Plattformen, die das Monopol unserer digitaler Kommunikation besitzen, der zerfallende Journalismus ohne funktionierende Geschäftsmodelle für das Digitale, die überforderte, noch nicht nachrichtenkompetente Gesellschaft, et cetera et cetera. Wir haben massiven Gesprächsbedarf über unsere Öffentlichkeiten an allen Ecken und Enden.

Frederik Fischer, Christina Dinar, Leonard Novy und ich beobachten diese Auflösungserscheinungen unserer Öffentlichkeiten, die der digitale Strukturwandel nun schon Jahrzehnte verursacht, aus unseren verschiedenen Blickwinkeln seit Jahren mit Unmut. Dabei haben wir wohl kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Es gibt zum Gesprächs-, also auch massiven Handlungsbedarf. Wir müssen mehr versuchen, ausprobieren, neue Wege gehen. Daher ist futur eins ein Think & Do Tank.

Nun legen wir los! Unsere Köcher sind vollgepackt mit Expertise und Ideen, Methoden und neuen Fragen, wie wir unsere Öffentlichkeiten verbessern können. Das ist der Kern dieser gemeinnützigen Organisation. Im Köcher stecken Modellprojekte, konstruktive Nadelstiche, Ideen für neue Fragen und das stetige Ausprobieren und Experimentieren, das auch scheitern darf. Denn es brennt an allen Ecken gleichzeitig und wir wollen – mit Euch – ins Handeln kommen. Wir brauchen: mehr Nachrichtenkompetenz, mehr lösungsorientierten Journalismus, mehr digitale Wissensarchitekturen, mehr Gemeinwohlorientierung, mehr innovative Geschäftsmodelle, probate Mittel gegen Desinformation sowie die Demonetarisierung des Hasses und einen kalten Entzug von der Aufmerksamkeitsökonomie und müssen auch die Länder im Blick behalten, die nicht das Glück haben, so viel Presse- und Meinungsfreiheit zu genießen, wie dies bei uns (noch) der Fall ist. Fact-checkt uns gern, aber sofern wir wissen, sind wir bisher die erste Organisation im Land, die sich ganz der holistischen Verbesserung unserer Öffentlichkeiten verschrieben hat.

Doch dem Anfang, dem vermeintlich der Zauber innewohnt, steht die Corona-Pandemie gegenüber. Seit Januar 2021 haben wir die Arbeit offiziell aufgenommen, ehrenamtlich und noch ohne die erhoffte Anschubfinanzierung, erstmal loslegen. Die Pandemie macht alles schneckenlangsam, Prozesse dehnen sich, wann macht die wieder Kita auf? Warum verschiebt das BMBF zum sechsten Mal die Verkündung, wer Projektgelder bekommt? Ich will hier radikal ehrlich mit Euch sein: Das Fundraising in Zeiten der Pandemie gleicht der Homer’schen Odyssee. Das ins Gespräch kommen ist dieser Tage zwischen Pandemieverdruss und Digitalität Knochenarbeit – und alles was dazu gehört. Fundraising ist etwas, das einen Raum benötigt, den man einnehmen kann; bei dem das Gefühl aufkommt, das Menschen gemeinsam etwas anpacken, ein Händedruck, Verbindlichkeit statt Pixeligkeit, all das fehlt.

Dabei gibt es so viel, über das wir ins Gespräch kommen müssen: Über die erloschene Innovationskraft einer Branche, die vom digitalen Strukturwandel ausgezehrt ist, wie keine zweite. Über die nun 220 Mio. € Coronahilfen ausgeschüttet werden, die wie in den Abgrund geworfene Millionen wirken. Wir müssen darüber reden, dass der tägliche Kampf um die tägliche Aufmerksamkeit für viele Redaktionen ein täglicher Kampf ums Überleben geworden ist, der laut kläffenden, statt konstruktiven Journalismus produziert. Ist nicht die Aufmerksamkeitsökonomie des Boulevard die gleiche, wie die der verhassten Facebookalgorithmen? Lösen wir die Herausforderungen unserer Gesellschaft, wenn Content vor allem »snackable« und »clickable« sein soll, eine gute Geschichte erzählt werden muss und man dem Publikum nichts mehr zumuten kann und mag? Muss nicht Journalismus im Digitalen viel mehr sein, als hochgeladene Fernsehbeiträge und hochgeladene Printartikel?

Wir haben uns vorgenommen, bei futur eins unangenehme Fragen zu stellen, auf die es manchmal auch nur unangenehme Antworten gibt. Doch »der Zustand einer Demokratie bemisst sich am Herzschlag ihrer politischen Öffentlichkeit«, wie unser aller Freund Jürgen Habermas einst sagte. Spüren wir ihn noch, den Herzschlag oder sind wir schon nachrichtenmüde?

Wie wäre es, wenn wir darüber demnächst gemeinsam sprechen, gemeinsam nachdenken und dann gemeinsam ins Handeln kommen?

Unsere Reise beginnt hier. Unsere Mission: Reclaiming the public sphere!

Herzlich

Alexander Sängerlaub