futur eins 💌 | Demokratie(n) am Scheideweg
Demokratie(n) am Scheideweg
Hi Du (hier steht Dein Name im Newsletter),
heute steht die USA möglicherweise vor einer der bedeutendsten Wahlen ihrer Geschichte: Wählen die Amerikaner*innen erneut den 45. Präsidenten Donald Trump und entscheiden sich damit für eine faschistische Autokratie? Oder bleibt die Führung mit Kamala Harris beim demokratischen Neoliberalismus?
Ähnliche Entscheidungen kennen wir aus anderen westlichen Demokratien: von Italien bis Frankreich, von Deutschland bis Großbritannien. Dort finden sich vergleichbare Konflikte und Mischformen zwischen Neoliberalismus (Macron, Scholz, Harris) und Rechtspopulismus (LePen) bis hin zum Postfaschismus (Meloni, Trump, Höcke). Warum scheinen andere politische Denkschulen kaum mehr relevant zu sein?
Als ob Neoliberalismus und Postfaschismus wirklich ehrliche Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit – von Klimawandel bis soziale Ungleichheit bieten. Vielleicht sind es aber die einzigen Positionen, die unter dem Duktus von Mediatisierung und oligarchischen Strukturen überhaupt Gehör in unseren dysfunktionalen Öffentlichkeiten geltend machen können? Das Primat des Hasses und der Spaltung oder das Primat der libertären Ökonomie? Kein Wunder, dass Elon Musk, der beide Strömungen bedient, von vielen als eine Art Nemesis der Demokratie wahrgenommen wird. Beide Entwicklungen sind höchst besorgniserregend.
Denn eigentlich wünschen wir uns doch etwas anderes: Demokratien, die Probleme lösen, Politik, die die Bedürfnisse der Menschen in Gesetze gießt, eine Öffentlichkeit, die konzentriert und konstruktiv Kontext und Aufmerksamkeit schafft, und eine Wirtschaft, die Wohlstand für alle und nicht nur für wenige verspricht. So aber wird die Idee von Demokratie zunehmend ausgehöhlt und unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme immer dysfunktionaler.
In einem Gespräch mit Sham Jaff, die den großartigen Newsletter „What happened last week“ schreibt, diskutierten wir über die Entwicklung der amerikanischem Demokratie, die sich gerne auf ihre über 200-jährige Geschichte beruft. Doch wenn wir den Begriff Demokratie streng an Handlungen und Möglichkeiten messen, ist dieser Zeitraum eigentlich recht kurz: von 1964 bis etwa 1981. Denn erst seit 1964/65 gilt durch den Civil Rights Act & Voting Rights Act das Wahlrecht wirklich für alle Amerikaner*innen, unabhängig von Hautfarbe.
Und bereits seit den 1980er-Jahren zeigen Studien, dass die Gesetzgebung im Senat und Kongress nicht mehr dem Gemeinwohl, sondern primär den Interessen weniger Partikulargruppen dient. So schrieben Martin Gilens (Princeton) und Benjamin Page (Northwestern) in ihrer 2014 veröffentlichten Studie: “Während die Wünsche der wohlhabendsten Bürgerinnen und die Interessen von Unternehmensgruppen einen starken Einfluss auf politische Entscheidungen haben, sind die Präferenzen der durchschnittlichen Bürgerinnen statistisch nahezu bedeutungslos.“ Politik, die nicht dem Gemeinwohl dient, kann wohl kaum demokratisch sein. So wird sie, die Demokratie, wie die Politikwissenschaftlerin Wendy Brown es schreibt, zu einem “leeren Signifikant”.
Zu düster? Vielleicht brauchen wir einen ehrlicheren Blick auf unsere “Demokratien”, um eine Vision zu zeichnen, zu der wir uns wieder hinbewegen wollen, anstatt – wie derzeit – die Demokratie nur vor denjenigen zu verteidigen, die sie ganz zersetzen wollen, ohne selbst eine positive Erzählung für die Zukunft parat zu haben.
Genau hier beginnt unsere Arbeit bei futur eins: Mit konstruktiven Erzählungen über die Zukunft. Wir leisten unseren bescheidenen Beitrag zu resilienten Gesellschaften, mit neuen Ideen für demokratische und funktionale Systeme: einem besseren, konstruktiven Journalismus; einer nachrichtenkompetenten Gesellschaft; einer zukunftsgewandten Politik – die das Gemeinwohl und das Interesse aller, im Blick hat. Schön, dass Du auch hier bist.
Herzlich
Alexander
Chief Impact Officer
Prof. Dr. Tong-Jin Smith
Mehr Team, mehr Themen, mehr Tacheles
Wir haben seit diesem Jahr offiziell Verstärkung, Prof. Dr. Tong-Jin Smith, mit der ich seit Jahren vertrauensvoll vor allem in der Vermittlung von Informations- und Nachrichtenkompetenz zusammenarbeite, ist zu futur eins gestoßen und unsere Freude könnte kaum größer sein. Denn Tong-Jin ist nicht nur eine ausgewiesene Expertin auf allen Feldern resilienter Informationsökosysteme, sondern auch eine leidenschaftliche Vordenkerin und Politikwissenschaftlerin. Welcome on board!
Doch nicht nur unser Team wächst, auch unsere Themen. Im Spätsommer haben wir in einem 8-wöchigen Strategieprozess uns neu sortiert und unsere Themenfelder unseres Think & Do Tanks unter der neuen Klammer Zeit und Raum für die resiliente Gesellschaft neu ausgerichtet. Sechs Schwerpunkte in drei Feldern bilden dabei den Nukleus unserer Arbeit: Resiliente Informationsökosysteme (Schwerpunkte: Resilienz gegen Desinformation und Populismus; Digitale Informations- und Nachrichtenkompetenz & Konstruktiver Journalismus), Psychologische Resilienz (Growth) und Demokratische Resilienz (Systemtheorie & Bruttonationalglück sowie Utøpiå: Demokratie in Zeiten von künstlicher Intelligenz).
Last but not least: Der Zukunftsrat. Ab sofort begleitet uns ein intersektorales Gremium mit konstruktiven und smarten Menschen aus allen Bereichen unserer Gesellschaft, u.a. dabei sind Frederik Fischer, den wir als Zukunftsratvorsitzenden gewinnen konnten, Maren Urner, Aline Lüllmann, Felix Kartte, Martin Fehrensen und viele Weitere. Schaut doch einmal vorbei auf unserer Webseite, um mehr über die Menschen zu erfahren, die mit uns vor allem eins gemeinsam haben: das Gemeinwohl im Blick.
futur eins in den Medien
Im Sommer erschien unser Format Fake Train, das wir zusammen mit der Bundeszentrale für politische Bildung mitkonzipiert und mitentwickelt haben. In der Show für Amazon Prime quizzt Rezo mit Influencern der Gen-Z Fragen zu Informations- und Nachrichtenkompetenz. Ein ungewöhnlicher Weg auch für die bpb, um kreativ und digital neue Zielgruppen im Netz zu erobern. Die sechs Folgen der ersten Staffel sind u.a. auch in der Mediathek der bpb zu sehen. Alles Weitere über das Format findet ihr auf unserer Projektseite.
Tong-Jin spricht zusammen mit Ciani-Sophia Hoeder im ZDF Terra-X-Podcast “USA – Der Riss” in sechs Folgen über die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Im Zentrum des Podcasts stehen Geschichte und Kontext genau dessen, was nun bei der Wahl heute entscheidend sein wird: Wie tief ist der Riss in der amerikanischen Gesellschaft? Und wie tragen beispielsweise Medien, Religion oder Rassismus zur Spaltung bei?
Alexander war auf dem Abschlusspanel der DisinfoCon von Democracy Reporting International zu Gast und diskutierte dort mit Melinda Crane, Brandi Geurkink und Duncan Allen über den Zustand der amerikanischen Demokratie kurz vor den Wahlen sowie den aktuellen Erkenntnissen in der Desinfo-Debatte. Für alle, die es verpasst haben: Das gesamte Panel sowie die Tagung wurden aufgezeichnet.
Was wir gerade lesen: bell hooks “all about love”
“Love is as love does”, sagt bell hooks und räumt mit einem großen Missverständnis auf. Liebe ist vor allem ein Verb und kein Substantiv. Sie muss sich an Taten bemessen und darf keine Begriffshülle sein – wie wir ja schon oben bei Demokratie festgestellt haben. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Feministin bell hooks legt ein Werk vor, das in keiner Bibliothek fehlen sollte und dem der große Kitt gelingt zwischen dem Zwischenmenschlichen im Kleinen (Psychologie) wie im Großen (Soziologie). “To truly love we must learn to mix various ingredients – care, affection, recognition, respect, commitment, and trust, as well as honest and open communication.” Das regt nicht nur das kritische Nachdenken über eigene Trauma und Defizite an, sondern zeigt auch, wo uns “die Liebe in der Gesellschaft” abhanden gekommen ist. Denn diese universellen Kriterien – Vertrauen, ehrliche Kommunikation, Anerkennung, usw. – fordern wir ja auch von den Systemen unserer Gesellschaft – Politik, Medien, Wirtschaft, etc. – ein. Die Bürgerrechtlerin Maya Angelou schreibt über das Buch: “Each offering from bell hooks is a major event, as she has so much to give us.”
Ciao, Elon!
Können wir noch guten Gewissens X nutzen? Die Antwort ist kurz und knapp – nein. Ihr findet uns dort nicht mehr. Dafür auf unserer neu gestalteten Webseite und hier im Newsletter. Und scheu sowie selten bei Instagram und LinkedIn. Das wollt ihr ändern? Schreibt uns, gebt uns Kritik, gebt uns Anregungen, gebt uns Ideen, gebt und Impulse (z.B. an info@futureins.org) oder ruft an +49 171 206 2568 – wir freuen uns auf Euch.
futur eins
over and out 🚀