Policy Paper im Rahmen der Allianz erschienen

Der Mensch ist Mensch, wenn er erzählt. Der „homo narrans“ – der erzählende Mensch – beschreibt eines unserer Grundbedürfnisse: Wir wollen berichten, teilen, gesehen und gehört werden. Dafür gibt es die Öffentlichkeit. Doch sie ist kaputt. Sie ist laut, verzerrt, schrill – und in digitalen Räumen, die einst Austausch und Miteinander versprachen, dominieren heute Propaganda und Polarisierung.

Es ist Zeit für ein neues Paradigma – nicht zuletzt unter den aktuellen geopolitischen Bedingungen. Das von Alex Sängerlaub verfasste Policy Paper, das im Rahmen der Allianz für die resiliente Informationsgesellschaft entstanden ist, skizziert genau das: eine Utopie davon, wie Öffentlichkeit funktionieren müsste, um den Menschen und der Demokratie zu dienen.

Dafür braucht es eine holistische Öffentlichkeitspolitik: Der Staat muss sichere und demokratiefördernde Räume schaffen. Der Journalismus braucht Innovationshilfen. Es ist an der Zeit, über gemeinwohlorientierte europäische Plattformen nachzudenken. Und nicht zuletzt müssen wir eine Kulturtechnik stärken, die heute so wichtig ist wie Lesen und Schreiben: Medienproduktion. Doch unser Bildungssystem ist weit davon entfernt, sie so zu vermitteln, wie es die digitale Welt erfordert. Ohne diese Anpassung steht auch die Demokratie auf dem Spiel.

📖 Policy Paper: Auf dem Weg in die resiliente Informationsgesellschaft. Grundstein einer holistischen Öffentlichkeitspolitik.

Executive Summary

Im Januar 2025 macht Elon Musk – als Eigentümer der Plattform X und Teil der US-Regierung – Schlagzeilen, indem er die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel zu einem Interview einlädt. Das Gespräch, gespickt mit Halbwahrheiten und Populismus, demonstriert eindrücklich die Macht digitaler Plattformen über die öffentliche Debatte. Es zeigt zugleich, wie verletzlich demokratische Willensbildungsprozesse sind, wenn Social-Media-Giganten, politische Akteure und unzureichend regulierte Strukturen zusammenkommen – von einer geringen Informations- und Nachrichtenkompetenz der Bevölkerung ganz zu schweigen. An diesem 9. Januar 2025 gewinnen Elon Musk und Alice Weidel den „goldenen Pokal um die Aufmerksamkeit“ in der Öffentlichkeit.

Die resiliente Informationsgesellschaft ist in den demokratischen Öffentlichkeiten des 21. Jahrhunderts eine Utopie. Für das Fortbestehen der Demokratie aber ist sie eine Notwendigkeit. Das Papier legt den Grundstein für eine holistische Politik, die sich funktionierende Öffentlichkeiten als Ziel setzt:

Wer die resiliente Informationsgesellschaft Realität werden lassen möchte, muss vier zentrale Faktoren stärken:

  1. Resilienz der Demokratie:
    Demokratische Strukturen und Akteure brauchen mehr Resilienz. Das bedeutet: Es braucht Regeln für politische Kommunikation in der Öffentlichkeit (z. B. Online-Wahlwerbung, parteieigene Medienkanäle). Dazu gehören auch mehr Kompetenzen im Umgang mit digitalen Kanälen. Auf der Strukturebene braucht es Möglichkeiten echter Bürgerbeteiligung (z. B. Bürgerräte, Direkte Demokratie), damit Menschen auch gehört werden, die in den derzeit zunehmend dysfunktionalen Öffentlichkeiten nicht zu Wort kommen. Nur so lassen sich Machtmissbrauch und Manipulation eindämmen.

  2. Resilienz des Journalismus:
    Ökonomische und strukturelle Zwänge führen zu Clickbait und Boulevardisierung, während fundierter Recherche-Journalismus immer schwerer finanzierbar ist. Ein Kulturwandel zu konstruktiver Berichterstattung, neue Dialogmöglichkeiten zwischen Publikum und Medien, mehr Transparenz und Diversität in Redaktionen und neue Finanzierungsmodelle stärken die Glaubwürdigkeit und Relevanz der Medien – und damit auch die der Demokratie. Dabei gilt es sowohl die Bollwerke gegen Propaganda und Extremismus nicht zu schwächen (z. B. den öffentlich rechtlichen Rundfunk) als auch ihre digitale und kulturelle Transformation zu beschleunigen.

  3. Resilienz der Social-Media-Plattformen:
    Die dominanten US-Plattformen agieren teils als „digitale Oligarchen“. Algorithmen-Priorisierung, unklare Moderationsstandards und Datenexploitation begünstigen extremistische Inhalte. Für Expert*innen im Feld ist das keine Neuigkeit, und spätestens seit dem zweiten Amtsantritt Donald Trumps wird es für alle Welt offensichtlich. Interoperabilität, algorithmische Transparenz und demokratische Kontrolle sind wichtige Bausteine für ein ausgewogenes Informationsökosystem, aber nicht genug: Es braucht europäische Antworten mit Gemeinwohlorientierung auf US-amerikanische Plattform-Oligarchien, die nicht primär den Launen und politischen Einstellungen der Eigentümer ausgesetzt sind.

  4. Resilienz der Gesellschaft:
    Ein hohes Maß an Informations- und Nachrichtenkompetenz gepaart mit realen Beteiligungsmöglichkeiten – online wie offline – bilden das Rückgrat einer digitalen, demokratischen Gesellschaft. Von dieser sind wir noch weit entfernt. Die erste Säule gegen Propaganda und Manipulation ist es, Desinformation zu erkennen und Quellen kritisch zu prüfen. Die zweite Säule sind deutlich mehr und niedrigschwellige Beteiligungsprozesse (z. B. Bürgerräte) sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit.

So entsteht ein regulatorischer Ansatz für widerstandsfähige Demokratien im digitalen Zeitalter und ein neuer Begriff, welcher der Bedeutung, Komplexität und Ressortüberschneidung des Feldes gerecht wird: die Öffentlichkeitspolitik. Sie beschreibt die Wegrichtungen hin zur resilienten Informationsgesellschaft. Die Zuständigkeit erstreckt sich auf mindestens neun verschiedene Ressorts und betrifft mehrere Ebenen gleichzeitig (Europa, Bund & Länder): Infrastruktur, Medien, Digitales, Bildung, Sicherheit (Auswärtiges und Inneres), Wirtschaft und Justiz.

Politik, Medien, Plattformen und Gesellschaft müssen gemeinsam an strukturellen, kulturellen und regulativen Stellschrauben drehen, damit Ressourcen, Gestaltungsmacht und Aufmerksamkeit nicht allein in den Händen weniger Akteure liegen – bei denen zunehmend auch noch antidemokratische Tendenzen sichtbar werden. Nur dann lässt sich das „Spiel um den goldenen Pokal“ der Aufmerksamkeit nachhaltig gerecht gestalten und ein politischer Willensbildungsprozess realisieren, der den Namen auch verdient.

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Alex Sängerlaub

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