futur eins 💌 | Zeitenwende Gigantica

25. FEBRUAR 2025
Zeitenwende gigantica
Hej (hier steht dein Name),
wer die Rede des US-amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesehen hat, der blieb, wie ich, mit einem unguten Gefühl zurück, gerade einen historischen Moment miterlebt zu haben. Verlässt Amerika in diesem Moment die gemeinsame Wertegemeinschaft? Ist Donald Trump etwa Wladimir Putin näher als uns? Und ist das die eigentliche Zeitenwende, die sich hier gerade vollzieht? Die Amerikaner lassen Europa links liegen. 80 Jahre nach dem 2. Weltkrieg ist es an der Zeit für Europa, sich von Captain America zu emanzipieren.
Sicherheitspolitik, den Krieg in der Ukraine, das transatlantische Verhältnis – all das streifte Vance nur am Rande. "Die Gefahr, die ich in Europa am größten sehe, ist nicht Russland oder China oder ein anderer externer Akteur." Die größte Gefahr liege im Inneren. Es folgt ein Vortrag, in dem Vance den Europäern ein verkommenes Demokratieverständnis vorwarf. Zwei Welten prallten hier aufeinander: Das libertäre amerikanische Verständnis von Meinungsfreiheit und das liberale europäische.
Hatte Elon Musk J.D. Vance geschickt, weil wir uns Anmaßen als Europäer amerikanische Plattformen mit dem Digital Services Act zu regulieren? Weil wir Hass, Hetze und Desinformation (mit denen Trump bekanntlich die Wahl gewann) in Europa nicht unkommentiert stehenlassen wollen und unsere Informationsräume nicht Extremisten und Faschisten überlassen wollen? Wahr ist, die AfD, die Vance in seiner Rede hervorhob und die Musk extra im Wahlkampf hofierte, sind den amerikanischen Republikanern näher, als der Rest unseres Parteisystems, denn sie teilen die US-republikanische Ideologie eines libertären, protektionistischen, rassistischen Neoliberalismus.
Die Amerikaner sorgen sich stattdessen umso mehr, dass ihnen ihre Propagandamaschinen – allen voran Elons X – in der EU abgedreht werden. Man sollte es darauf ankommen lassen. Die EU ist immerhin der drittgrößte Wirtschaftsraum der Erde, nach Amerika und China. Und schon viel zu lange lassen wir uns von den amerikanischen (Social-Media-)Plattformen auf der Nase herumtanzen, deren Kotau nach der US-Wahl vor Trump das ganze Problem unserer digitalen Öffentlichkeiten so deutlich werden ließ, wie nie zuvor.
Mit einem Punkt hatte J.D. Vance nämlich Recht: Er warf uns vor, dass wir als Europäer keine Vision für die Zukunft hätten. Friedrich Merz, die neue Bundesregierung und die EU haben gewaltige Emanzipationsaufgaben vor sich. Nicht nur die militärische Sicherheitsarchitektur der Europäer muss völlig neu gedacht werden, auch unsere Informationsräume, die Lebensadern der Demokratie, müssen unabhängig von US-amerikanischen Konzernen und ihren libertären Geschäftsmodellen werden – das wäre doch eine Vision.
Mit der Allianz für die resiliente Informationsgesellschaft, die wir derzeit zusammen mit dem betterplace lab, Correctiv, Publix und anderen aufbauen, versuchen wir aus der Zivilgesellschaft heraus, einen gedanklichen Grundstein für eine holistische Informations-, Digital- und Medienpolitik zu setzen. Mitte März wird ein Policy-Paper erscheinen, das wir selbstverständlich auch an dieser Stelle mit euch teilen.
Herzlich
Alexander
Chief Impact Officer

Allianz für die resiliente Informationsgesellschaft
Seit Oktober ist futur eins Allianzpartner in der Allianz für die resiliente Informationsgesellschaft, die das betterplace lab zusammen mit Correctiv, Publix, dem Bucerius Lab der Zeit-Stiftung und More in Common ins Leben gerufen hat. Inzwischen sind auch SpreuXWeizen, Das Nettz und Faktor D mit an Bord. Was genau das sperrige Wort-Ungetüm “resiliente Informationsgesellschaft” meint, gibt’s als Teaser im Blogbeitrag des betterplace labs. Den Deep Dive bekommt ihr dann Mitte März zur Veröffentlichung des Papiers.
Am 13. März 2025 laden wir alle Interessierten zum öffentlichen Auftakt der Allianz ins Publix ein. Ab 18.30 Uhr diskutieren wir mit Markus Beckedahl (Netzpolitik), Martin Fehrensen (Social Media Watchblog), Christiane Hoffmann (Sprecherin der Bundesregierung) und Laura Krause (More in Common) unter dem Titel “Diskurs statt Destruktion: Wie werden wir zu einer resilienten Informationsgesellschaft?”
Am 14. März lädt die Allianz zu einer ganztägigen, geschlossenen Veranstaltung mit Expertinnen und Experten aus Politik, Zivilgesellschaft, Journalismus, Wissenschaft und Wirtschaft ein, um den Zukunftsprozess zu starten. Wir wollen gemeinsam in die Zukunft schauen und mit Methoden der Zukunftsforschung backcasten, was bis 2050 passieren muss, damit die resiliente Informationsgesellschaft – die bisher noch eine Utopie ist – auch Realität wird.

Neues Jahr begann mit 1. Zukunftsratstreffen im Maschinenraum
Das neue Jahr startete für uns hochmotivierend mit dem 1. Treffen des futur eins Zukunftsrats. Unter dem Motto Utopia Knytkalas (quasi eine Art Potluck als Konferenz) haben wir uns über gesellschaftliche Utopien ausgetauscht, trotz – und gerade zum Auftakt – des Jahres 2025, mit den Eindrücken der US-Wahlen im Nacken.
Im Maschinenraum am Berliner Zionskirchplatz nutzen wir den Tag nicht nur, um uns gegenseitig kennenzulernen, sondern auch, um “Gelöst oder gequetscht” – unser Lieblingsformat im Konstruktiven Journalismus – erstmalig auf der Bühne zu erproben. Mit dem Zukunftsrat haben wir zudem Fundraising-Strategien gewälzt und die Themen von futur eins kritisch beäugt und überdacht – für eine kohärente Gesamtstrategie.
Im intersektoralen Beirat sitzen für uns brillante Köpfe aus Politik, Medien, Wirtschaft und Gesellschaft: Mit dabei waren u.a. Frederik Fischer (Zukunftsratsvorsitzender), Aline Lüllmann (taz), Gergana Baeva (Medienpolitische Referentin von Bündnis90/DieGrünen), Melanie Stein (Wir sind der Osten), Christoph Zeiher (dpa), Sabine Frank (Google), Wolfgang Kerler (1E9), Ranty Islam (Media University), Steffi Kim (KIMKOM), Johanna Famulok (Strategische NGO-Kommunikation), Nataly Bleuel (Journalistin & Traumatherapeutin), Franziska Teubert (Bundesverband Deutsche Start-Ups) und viele mehr.
futur eins in den Medien
Über Desinformationskampagnen zur Bundestagswahl sprach Alexander Sängerlaub mit der Süddeutschen Zeitung. Im Artikel “Wie Lügen Wähler in die Irre führen” geht es um “die Klassiker”: mangelnde Informations- und Nachrichtenkompetenz, russische Desinformation und die Propaganda der AfD. (Paywall)
Desinformation beschäftigen uns rund um den Erdball. Auch die australische Nachrichtenplattform SBS sprach mit Alexander über Desinformation, die zum Thema Klimawandel geteilt werden und wie in Deutschland die AfD, eine Partei die wie die US-Republikaner den menschgemachten Klimawandel leugnet, mit 20,8% in den Bundestag einzog.

Was wir gerade lesen: Patrick J. Deenen “Why liberalism failed”
Ist der Liberalismus gescheitert? Das ist zumindest die These des konservativen US-Politikwissenschaftlers Patrick J. Deenen und geistigen Mentoren von J.D. Vance, der auch im ZDF-Format Precht zu Gast war.
Patrick Deneen argumentiert in Why Liberalism Failed, dass der Liberalismus nicht aufgrund äußerer Feinde oder unglücklicher Zufälle gescheitert ist, sondern weil er genau so funktioniert, wie er gedacht war. Der Liberalismus, sowohl in seiner progressiven als auch konservativen Form, basiert auf einem übertriebenen Individualismus und dem Streben nach persönlicher Autonomie, was langfristig zur Erosion gemeinschaftlicher Werte, Institutionen und sozialer Bindungen führt.
Deneen sieht drei Hauptprobleme:
Der Liberalismus zerstört seine eigenen Grundlagen
Die Betonung auf individuelle Freiheit und die Loslösung von Traditionen führt zu einer Gesellschaft, in der soziale Normen und Institutionen, die einst Stabilität gewährleisteten, zerfallen.Er fördert wirtschaftliche und kulturelle Ungleichheit
Während der Liberalismus Wohlstand verspricht, begünstigt er Eliten, untergräbt lokale Gemeinschaften und verstärkt soziale Isolation in seiner inzwischen libertären, neoliberalen Wirtschaftsform.Er erschöpft Mensch und Natur
Die grenzenlose Freiheit und der technologische Fortschritt führen zu Umweltzerstörung und einem entfremdeten, rastlosen Menschenbild.
Am Ende plädiert Deneen nicht für eine Rückkehr zu alten Systemen, sondern für ein neues Denken: lokale, gemeinschaftsorientierte Strukturen und eine Politik, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellt.
Fazit: Der Liberalismus hat nicht einfach „versagt“ – er war von Anfang an auf einen Selbstzerstörungspfad programmiert.
Du hast es bis hierhin geschafft?
Du bist grandios und wir freuen uns sehr. Danke! Wir freuen uns über Kritik, Anregungen, ein ❤️oder andere Impulse (z.B. an info@futureins.org) jeglicher Art. Du kannst uns sogar anrufen: +49 171 206 2568.
futur eins
over and out 🚀