futur eins đź’Ś | Jetzt geht's um die Wurst!

Jetzt geht's um die Wurst!
Hej Du (hier steht Dein Name im Newsletter),
kennst du das? Ständig piept irgendwas. Sieben neue Nachrichten auf WhatsApp, drei neue E-Mails, jemand hat deinen Kommentar bei LinkedIn geliked, in der Familiengruppe tobt der Brunch-Streit und dein Kalender blinkt auch schon wieder. Willkommen im Kommunikationskarussell 2025. Ist das noch Austausch? Oder sind wir einfach nur Dauerfunksignale auf zwei Beinen?
"Wir amĂĽsieren uns zu Tode" war gestern.
Heute mĂĽsste es heiĂźen: Wir kommunizieren uns zu Tode.
Der US-Medienwissenschaftler Neil Postman warnte schon in den 80ern vor einer Gesellschaft, die vor lauter Unterhaltung ihre Ernsthaftigkeit verliert. Heute ist zur Dauerunterhaltung noch eine andere Form der Überlastung hinzugekommen: die ständige Verfügbarkeit, eine vermeintliche Kommunikationspflicht, die sich über alle Kanäle zieht. Wer nicht reagiert, ist verdächtig. Wer nicht sendet, scheinbar irrelevant. Bist du etwa in der Informationsflut ertrunken?
Meine nicht ganz so stille Rebellion gegen das dauernde Kommunizieren ist beispielsweise meine Dauer-Abwesenheitsnotiz für alle, die mir mailen. Dort steht, dass ich E-Mails selten lese und wenn etwas wichtig sei, man mich anrufen solle. Und ja, es funktioniert ganz gut. Doch Instagram, Tagesschau-Push-Benachrichtigungen, Berliner U-Bahn-Fenster, LinkedIn, WhatsApp, Signal – wer soll im Dauerrauschen noch Filtern, was wirklich von Belang ist?
Was – und wer – geht dabei verloren?
Vielleicht genau das, was Kommunikation mal ausgemacht hat: Zuhören. Nachdenken. Stille. Differenzieren. Reflektieren. All das schafft erst Tiefe. Und im Dialog: Verbundenheit. In einer Welt, in der alle dauernd sprechen, wird es schwer, die wirklich wichtigen Stimmen zu hören. Und wenn jede*r sofort reagieren muss, bleibt keine Zeit, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Geschweige denn, wenn wir uns dabei nicht mehr in die Augen, sondern nur auf kleine Bildschirme schauen.
Wer Politiker*innen auf Social Media und im Fernsehen sieht, hat den Eindruck, dass es zwei Sorten gibt: die Dauergehetzten und die Dauerkommunizierenden – und der Journalismus, der eifrig mithetzt. Welche Wurst isst Markus Söder heute? Welche Kravatte trägt Friedrich Merz zum Staatsbesuch in den USA? Welcher Pullover im Bundestag passt Julia Klöckner heute nicht? Robert Habeck bringt es im Interview mit der taz auf den Punkt: “Dieses fetischhafte Wurstgefresse von Markus Söder ist ja keine Politik. Und es erfüllt dennoch einen Zweck. Es lenkt ab von den Gründen, die Menschen haben können, sich nicht gesehen und nicht mitgenommen zu fühlen.” Wir leben nicht in einer Aufmerksamkeits-, sondern in einer Ablenkungsökonomie, wie Tong-Jin gerne sagt.
Jetzt geht’s wirklich um die Wurst!
Ich könnte jetzt die Wurstigkeit von Markus Söder weiter vertiefen, doch jetzt geht es wirklich um die Wurst: Als ob wir keine ernsten Probleme hätten, die ständig durch Nichtigkeiten und Ablenkungen überspielt werden könnten.
Fasst man die aktuellen Probleme der Menschheit zusammen, gibt es im Grunde “nur” 5 große Problemthemen:
Der Klimawandel und seine Folgen fĂĽr alles Leben auf diesem Planeten (inklusive uns)
Die Art, wie wir wirtschaften und die ökonomischen Ungleichheiten, die daraus entstehen und deren Folgen für alles Leben (von Kriegen im Nahen Osten und in Europa, der Verschärfung von Problem 1 bis zu den Mieten in den Großstädten und den Superreichen, die sich lieber eigene staatsfreie Zonen bauen, anstatt irgendetwas zum Gemeinwohl beizutragen).
Toxische Macht und Männlichkeit: Von den Musks und Trumps bis zu den Putins und Kim-Jong Uns gehen Problem 2 und 3 oft Hand in Hand und befeuern Problem 1 & 2 und auch 4 & 5.
Unregulierte Technologien (von Artificial Intelligence bis Social Media), von denen nicht wenige hoffen, dass sie mindestens Problem 1 & 2 (und vielleicht ja auch 3 & 5) lösen.
Die Krise der Kommunikation selbst.
Denn ohne eine gemeinsame Sprache, gegenseitiges Zuhören, das Nachdenken bevor man tiefer hinterfragt und erst dann reagiert, kann auch kaum Vertrauen entstehen. Weder miteinander, noch in Medien und Politik. Verloren gegangen sind uns die gesellschaftlichen Orte für Debatten, Austausch und Erkenntnis – offene Räume, auch für Wachstum und Fehler. Wie sonst sollen wir gemeinsam Lösungen finden? Denn trotz Social Media und Dauerbeschallung, waren Menschen noch nie so einsam wie heute, das Vertrauen in Medien und Demokratie – und ineinander – so gering.
Von hier an müssen wir Öffentlichkeit neu gestalten – Räume für das langfristige Nachdenken schaffen, uns gegenseitig Lust auf Gemeinschaft und Zukunft machen, statt uns ständig spalten und von Wurst ablenken zu lassen. Und uns gemeinsam mit der Politik dafür einsetzen, dass Probleme auch ernsthaft gelöst werden. Es sind ja nur 5.
Herzlich
Alexander
Gründer & Geschäftsführender Vorstand (aka Zukunftsminister)

Warten auf G…emeinnützigkeit
Auf diesem schönen Teppichboden geschah am 16.05. etwas ganz zauberhaftes: Die Neugründung von futur eins als gemeinnützigen eingetragenen Verein. Der Teppich gehört zur Bibliothek des Publix im Berliner Bezirk Neukölln, wo wir seit besagtem Tage nun residieren und unsere Geschäftsadresse haben.
Damit sind wir sprichwörtlich in bester Gesellschaft: Vom Think Tank Interface, über Correctiv, Reporter ohne Grenzen, More in Common, dem Media Forward Fund und viele weitere, sitzen viele gemeinnützige Organisationen in diesem schönen Haus zusammen, die das Ziel eint, unsere Demokratie und unsere Öffentlichkeiten nachhaltig zu verbessern.
Mit dieser News wollten wir eigentlich warten, bis das Finanzamt Neukölln unsere Satzung für gemeinnützig erklärt und der Verein damit offiziell ins Vereinregister aufgenommen werden kann. Aber gut Ding will scheinbar Weile haben.
Im Zuge der Gründung haben wir das Präsidium als Aufsichtsorgan des Vereins neu geschaffen und freuen uns sehr, dieses mit herausragenden Persönlichkeiten, die unseren Weg schon lange begleiten, besetzt zu haben. Frederik Fischer (Geschäftsführer von Neulandia) hat sich bereit erklärt, das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Franziska Teubert (Geschäftsführerin des Startup Verbands) ist Vize-Präsidentin. Mit im Präsidium sitzen zudem futur-eins-Gründerin der ersten Stunde Christina Dinar, die Medienpolitische Referentin im Bundestag Gergana Baeva, Rainer Faus (Geschäftsführer von pollytix) und Tom Waurig (Geschäftsführer von spreuweizen).
Den Geschäftsführenden Vorstand des Vereins bilden Prof. Dr. Tong-Jin Smith, Marion K. Sängerlaub und ich (Alexander Sängerlaub).
Ihr könnt uns nun offiziell Schreiben an:
📬 futur eins im Publix, Hermannstraße 90, 12051 Neukölln

Ă–ffentlichkeit braucht Gemeinschaft
Am 17. Juli haben wir mit der Allianz für die resiliente Informationsgesellschaft im Publix genau darüber diskutiert – und eine These gewagt: Unsere Demokratie braucht ein neues Politikfeld. Eines, das Öffentlichkeit als gestaltbaren Raum versteht – mit klaren Regeln und echter Teilhabe es schafft, das Vertrauen in Medien, Journalismus und digitale Infrastrukturen – und damit in die Demokratie – zu stärken: Die Öffentlichkeitspolitik.
Erfahrung statt Meinung
Denn: Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nicht nur durch Meinungen, sondern durch geteilte Erfahrungen. Kristina Krömer, die mit ihrer tollen NGO Metro-Polis in Dresdner Straßenbahnen genau so einen Erfahrungsraum (im wahrsten Sinne des Wortes) ermöglicht, brachte es in ihrer Intervention auf den Punkt: „Vielen Dank für Ihre Meinung – jetzt Ihre Erfahrung!“ Öffentlichkeit braucht Räume, in denen Menschen einander begegnen – digital, hybrid oder eben analog in der Tram.
Regulierung allein reicht nicht.
Danach ging es im Panel mit Eva Flecken (mabb), Erik Tuchtfeld (D21), Hanna Gleiß (Das Nettz) und Alex Sängerlaub, moderiert von Lukas Harlan (betterplace lab), ums Eingemachte: Ob DSA oder Medienanstalten – Regulierung ist wichtig, aber kein Ersatz für politisches Gestalten. Plattformregulierung muss begleitet werden von Investitionen in Bildung, Lokaljournalismus und gemeinwohlorientierte Plattformen. Mehr dazu im Text von Josefa Kny (betterplace lab).
Denkarium
Ab der nächsten Ausgabe ist hier Platz für euch. Wir möchten – und werden – den Newsletter dialogischer nutzen als bisher. Habt ihr Gedanken, eine gute Idee, die ihr teilen wollt, oder etwas, das Euch beschäftigt für unsere nächsten Ausgabe? Schreibt uns an info@futureins.org.
Wir werden den Raum hier ebenfalls nutzen für Repliken aus unserem Zukunftsrat und den Mitgliedern unseres Vereins. Bis zum nächsten Mal!
futur eins
over and out 🚀